Viele Menschen sind sehr hart zu sich selbst, kritisieren sich viel, setzen sich unter Druck, gönnen sich keine Erholung, selbst wenn es ihnen schlecht geht oder sie sogar krank sind, zwingen sich zu Dingen die sie eigentlich nicht mögen, dafür verbieten sie sich ihre wahren Wünsche, können den Anderen nicht "Nein" sagen, sind unzufrieden mit sich selbst und mit dem, was sie erreicht haben, und v.a. vergleichen sich mit Anderen.
Das ist die erlernte Art und Weise, mit sich selbst umzugehen. Sie wird nicht willkürlich ausgesucht, sondern von dem in der Kindheit erfahrenen Umgang und Ansprache übernommen. Wenn dieser Erfahrung hart war, behandelt man sich heute hart. Wenn sie sehr kritisierend war, übt man heute viel Selbstkritik. Wenn sie abweisend war, lebt man heute in Selbstablehnung. Wenn sie vernachlässigend war, ignoriert man heute die eigenen Bedürfnisse und Gefühle.
Auch die Bedingungen, unter denen man damals von den wichtigsten Bezugspersonen akzeptiert wurde, setzt man sich heute für die Selbstakzeptanz. Es ist die einzige erlernte Art, um (bedingte) Liebe zu bekommen. Demnach ist man nur unter diesen Bedingungen "OK".
Wenn man hart und kritisch mit sich selbst ist, kann man kaum gutmütig und offen zu den Anderen sein. Leider führt die überschüssige und dysfunktionale Selbstkritik häufig zu (sozialer) Angst und daraus ergehenden Schutzmechanismen, wie Lügen, Neid, Bosheit, Verurteilung Anderer, Überheblichkeit. Wenn man sich selbst nicht akzeptiert, so wie man ist, versucht man jemand anders zu sein. Dann ist man auch von der Meinung anderer abhängig sowie sehr empfindlich bei Kritik. Für die Regulierung des eigenen Selbstwertgefühls kritisiert man auch Andere.
Außerdem kann die extreme Selbstkritik zur Entwicklung von sozialer Phobie und somit einer totalen Isolation führen. Interessanterweise habe ich in meiner psychotherapeutischen Erfahrung bei den meisten Menschen mit sozialer Phobie auch narzisstische Züge beobachtet. Das heißt, einerseits hohe Ansprüche an sich selbst und Andere, andererseits aber auch eine Überheblichkeit als Schutzmechanismus.
Selbstgespräche sind etwas sehr Intimes, aber auch Tiefes, was in der Psychotherapie viel Arbeit benötigt. Dieses Thema wird unter unterschiedlichen Begriffen bearbeitet: Glaubensätze, Introjekt, innerer "Kritiker", innerer "Elternteil", je nach therapeutischem Verfahren. Jedes Verfahren bezieht sich auf diese innere Struktur und erzielt ihre Veränderung im Rahmen der Behandlung (fast) aller psychischen Störungen. Allerdings brauchen auch viele gesunde Menschen diese Arbeit an sich selbst, da der harte Umgang mit der eigenen Person zu Erschöpfung, Ausschöpfung der Ressourcen und schließlich zu Krankheiten führen kann.
Solange es einem nicht bewusst wird, dass "die Stimme" aus den eigenen Selbstgesprächen, der Umgang mit sich selbst, das Selbstbild sowie die Bedingungen für das Selbstwertgefühl nicht von einem selbst kommen, sondern eine frühere Quelle haben, wird man frustriert sein. Das Leben nach fremden Regeln kann nicht glücklich sein. Auch diejenigen, von denen diese Regeln übernommen wurden, waren nicht glücklich. Die wahre Selbstverwirklichung ist nur bei den eigenen Werten, Regeln und Zielen möglich. Auch wird es bei unbedingter Selbstakzeptanz leichter, bescheiden und gutmütig zu sein, sowie Beziehungen mit Anderen aufbauen.